Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts war eine Klatsche für die Regierung: Sie muss beim Klimaschutz nachbessern. Die Frist: der 31.12.2022. Die Frage: Welche Anreize ebnen neuen, klimafreundlichen Technologien den Weg in die Wirtschaft? Sie müssen rentabel werden, sagt Umweltökonom Benjamin Görlach im Podcast.
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Das Bundesverfassungsgericht hat ein bahnbrechendes Urteil zum Klimaschutz gefällt. Bis Ende 2022 muss der Gesetzgeber nachbessern, um die Klimaziele überhaupt erreichen zu können. Im Zweifel muss er auch drastische Schritte ergreifen, um die Emissionen zu senken. Denn eine zu lasche Klimapolitik schränkt die Freiheit zukünftiger Generationen ein. Es ist eine Grundsatzfrage: Kann der Klimawandel tatsächlich unsere Freiheit gefährden? Und was können wir tun, um die Freiheit zu bewahren? Darüber habe ich mit Benjamin Görlach gesprochen. Er ist Head of Economics and Policy Assessment am Ecologic Institute in Berlin; das ist ein hoch angesehener akademischer Thinktank für Umweltforschung und Politikanalyse. In seiner Arbeit befasst sich Görlach mit der Wirksamkeit ökonomischer Instrumente im Klimaschutz. In unserem Gespräch fand er klare Worte. Er sagt: Ob Unternehmen, Verbraucher oder Politiker – wir können den Klimawandel nicht mehr ignorieren. Das Verfassungsgerichtsurteil ist also eine Klatsche für die Regierung und ein Erfolg für Umweltschützer. Die Industrie jedoch blickt mit Sorge auf die Entscheidung. Denn steigende Preise im Emissionshandel setzen sie jetzt schon ordentlich unter Druck. Trägt die Politik damit den Kampf gegen den Klimawandel auf den Schultern der Unternehmen aus? Kann sie die Kosten überhaupt stemmen? Erfahren Sie, warum Görlach Kostensteigerungen für vernünftig hält, aber nicht für ausreichend, um Klimaziele zu erreichen. Welche zusätzlichen Maßnahmen müssen die Regierungen noch ergreifen? Welche Rolle spielt die Europäische Union? Schreiben Sie mir gern, ob Sie die Einschätzungen teilen oder anderer Meinung sind. Den Kontakt finden Sie in den Anmerkungen. Ich freue mich auf den Austausch mit Ihnen. Herr Görlach, schön, dass Sie heute bei uns sind und quasi für den Jahresauftakt 2022 zur Verfügung stehen. Wir wollen die Situation nutzen und heute mal darüber sprechen, welche ökonomischen Auswirkungen die Klimapolitik in den kommenden Jahren haben wird und wie Klimapolitik eigentlich überhaupt funktioniert. Und ein Aufhänger ist dafür das bahnbrechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz, wonach der Gesetzgeber bis zum 31.12.2022 nachlegen muss, um die Freiheit künftiger Generationen zu schützen. Mit dieser sehr großen Grundsatzfrage möchte ich gerne mal beginnen. Gefährdet denn der Temperaturanstieg tatsächlich unsere Freiheit?
Ja, schönen Dank und schönen guten Morgen, Herr Roemheld! Freut mich auch, hier in die Diskussion zu gehen. Ja, eine große Frage zum Einstieg. Tatsächlich ist es so, dass der Klimawandel immer stärker voranschreitet. Das sehen wir leider an allen Ecken und Enden und das führt uns in eine Situation, in der dann irgendwann auch drastische Maßnahmen nötig werden, um den Klimawandel zu begrenzen oder noch zu beherrschen; die unbeherrschbaren Elemente zu vermeiden. Wir sehen das auch immer deutlicher, dass nicht nur der Klimawandel voranschreitet, sondern dass er auch ein Krisenbeschleuniger ist in allen Ecken des Globus. Das sieht man an Ernteausfällen, an Wasserknappheit in Teilen der Welt, man sieht’s an den Wald- und Buschbränden, Überschwemmungen, Meeresspiegelanstieg und anderen – was tatsächlich ja auch schon in vielen Weltregionen das Leben und die Einkommensmöglichkeiten von Menschen in allen Ecken und Enden beeinflusst. Und das führt in der Summe dann dazu, dass aus kleinen Krisen größere Krisen werden und dass das Konfliktpotenzial insgesamt steigt. Und das spüren wir dann wieder hier in Europa zum Beispiel in Form von einem erhöhten Migrationsdruck. Migration hat natürlich viele, viele Ursachen, aber eine der Ursachen ist sicherlich auch, wenn die Lebensumstände zu schwierig werden oder wenn’s gewaltsame Konflikte gibt, die unter anderem auch durch Klimawandel mitbefeuert werden. Und auf diese Weise werden diese Effekte des Klimawandels auch bei uns zu Lande immer stärker spürbar. Wir sehen aber auch natürlich schon die direkten Ereignisse und Folgen des Klimawandels. Das haben wir im letzten Jahr leider in Deutschland sehr deutlich erleben müssen. Ich bin selber in Erftstadt aufgewachsen und mein Elternhaus steht da; also es war nicht stark betroffen im Vergleich zu anderen Häusern in Erftstadt und meine Eltern konnten das auch materiell abfedern, aber es ist natürlich schon auch Geld, was sie ansonsten gerne anders ausgegeben hätten, als die Schäden da zu beheben. Wir sehen das immer stärker, auch bei uns vor der Haustür. Wir werden es auch spüren; und das tun wir auch schon mittelbar durch Verwerfungen in der Weltwirtschaft, wenn zum Beispiel Lieferketten unterbrochen werden durch extreme Wetterereignisse. Und das bedeutet sozusagen in der langen Sicht, dass wir einen immer größeren Teil unseres Einkommens darauf verwenden müssen, um Schäden entweder abzuwenden oder um Schäden zu reparieren. Das heißt, es wird einfach immer teurer mit der Zeit. Und je stärker der Klimawandel fortschreitet, desto drastischer werden diese Folgen. Es geht beim Klimawandel ja nicht um ein Problem, wo wir sozusagen einen Status ohne und einen Status mit Klimawandel haben, sondern es ist ein Problem, das immer stärker skaliert wird. Und je weiter es voranschreitet, desto immer schwerer beherrschbar wird es. Das heißt also, es ist auch ökonomisch natürlich geboten, zu versuchen, die unbeherrschbaren Folgen abzuwenden. Und ihre Einstiegsfrage ging ja nicht um Einkommen oder Wohlstand, sondern um die Freiheit. Ist denn die Freiheit tatsächlich bedroht? Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts war an der Stelle tatsächlich – das würde ich auch so auf jeden Fall teilen –, dass wir in eine Wahl kommen können, in der wir nur noch sehr unschöne Alternativen haben. Wenn wir sozusagen jetzt zu wenig tun, dann stehen wir in zehn, zwanzig Jahren an einem Punkt, wo wir die Wahl haben, entweder drakonische Maßnahmen zu ergreifen und uns, sagen wir mal, massiv einzuschränken und da sozusagen dadurch unsere Freiheit zu beschränken oder aber zu sagen, wir akzeptieren den Klimawandel als Realität und müssen uns sozusagen dann darauf einschränken, dass der Klimawandel stärker wird, müssen auch die Ziele verabschieden, die wir uns gegeben haben. Und das sind ja nicht nur sozusagen politisch erklärte Ziele, sondern es sind völkerrechtlich verbindliche Ziele, die die Bundesrepublik Deutschland und die EU sich unterschrieben haben: Ja, das werden wir tun, das werden wir machen. Und die haben, das hat das Bundesverfassungsgericht eben auch erklärt, damit sozusagen auch Verfassungsrang, die Ziele im Pariser Abkommen. Das heißt also, die eben zu brechen ist auch keine Kleinigkeit. Und das heißt, man wird vor dieser Wahl stehen und fragen: Was machen wir dann? Und dann haben wir quasi keine Handlungsmöglichkeiten, keine Freiheiten mehr. Das war also die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts an dieser Stelle. Wir müssen also sozusagen jetzt handeln. Wenn wir unsere Freiheit jetzt nicht nutzen, dann führen wir uns eben in eine Situation, in der wir unsere Freiheit in der Zukunft massiv einschränken müssen. Das ist ein Zeichen, wenn man so will, natürlich auch ein Prozess, eine Situation, in der wir uns jetzt schon mal in einer ganz anderen Lage wiederfinden. Wir sehen in diesen Monaten ja mit der Coronakrise quasi ein reales Experiment: Wie geht Politik und wie geht der Staat um mit einer Herausforderung, die sich nicht wegverhandeln lässt; wo sozusagen ein naturgewaltlicher oder ein natürlicher Prozess uns gegenübersteht; wo Verhandeln nichts bringt, sondern wo man eben damit umgehen muss und sozusagen harte Entscheidungen auch treffen muss und wo es genau eben auch um das richtige Maß von Freiheit und Verantwortung geht? Ich will jetzt gar nicht groß einsteigen in die Frage, was richtig und was falsch ist im Umgang mit der Coronakrise, aber wir sehen auf jeden Fall, dass das politische System da an dieser Stelle schon ganz gehörig knirscht, wenn es darum geht, dass Freiheitseinschränkungen begründet und auch durchgeführt werden müssen. Und wir sehen auch jetzt in den letzten Monaten, dass es dann Leute gibt, die sich aus dem gesellschaftlichen Konsens dann verabschieden an der Stelle, und dass die nicht mehr mitgehen wollen. Und deswegen ist es aus meiner Sicht auch jetzt – gar nicht so sehr als Ökonom gesprochen, sondern eher als Staatsbürger und Demokrat – durchaus ein Problem, wenn wir in eine Situation hineingehen, in der wir unsere Freiheitsmöglichkeiten so radikal beschränken, in der wir uns dann sagen: Ja, dann müssen wir eben im Jahr 2035 ganz massive drastische Maßnahmen ergreifen. Ich bin mir nicht so sicher, ob unsere Demokratie sozusagen das auch durchaus aushalten würde; ob dann tatsächlich sozusagen die Mehrheiten sich finden und sagen, gut, dann müssen wir das jetzt eben so machen, oder ob es nicht dann eher so abläuft wie in den USA, dass bestimmte Teile der Gesellschaft dann einfach sich verabschieden und sagen, ne, dann machen wir da nicht mit. Und das können wir auch nicht wollen, ne. Deswegen ist das Thema schon ein sehr großes. Und es geht tatsächlich eben darum, dass wir, indem wir jetzt handeln, unsere Freiheit später bewahren und uns nicht in eine Situation hineinmanövrieren, die wir nicht beherrschen können.
Ich glaube, Sie haben’s zum Einstieg sehr gut zusammengefasst an der Stelle. Den Begriff Freiheit auch noch mal zu differenzieren. Es geht ja um die Freiheit auch aller insgesamt und nicht nur um die individuelle Freiheit, die jeder Einzelne nutzen kann. Insofern: Fragen wir uns jetzt mal ein bisschen – um vom ganz Großen auf ein etwas kleineres Thema zu kommen –, wie die deutsche Klimapolitik aktuell funktioniert und was dort geplant ist an Aktivitäten und Aktionen. Mit dem Jahreswechsel ist ja der CO₂-Preis schon mal von 25 auf 30 € pro Tonne gestiegen und er soll noch weiter steigen. Bis 2025 sollen wir einen Preis von mindestens 55 bis maximal 65 € pro Tonne CO₂ erreichen. Was bedeutet das für die Industrie? Auf welche Änderungen muss sie sich denn sonst noch einstellen mit diesen Maßnahmen?
Genau. Ja, wir haben in der Tat – es ist ein bisschen verwirrend, aber es ist so! –, wir haben tatsächlich zwei verschiedene Systeme in Deutschland aktuell zur CO₂-Bepreisung und deswegen auch zwei verschiedene CO₂-Preise. Wir haben sozusagen einerseits ein europäisches System, das gibt es schon seit 2005, den europäischen Emissionshandel. Da sind die größeren Teile der Industrie drin, also sozusagen die Schwerindustrie, da ist die Energieerzeugung drin und da ist auch der Flugverkehr mit drin. Und dann gibt es seit dem letzten Jahr auf nationaler Ebene ein zweites Emissionshandelssystem, den nationalen Brennstoffemissionshandels. Das deckt quasi alles andere ab, was nicht im europäischen Emissionshandel drin ist. Das sind im Wesentlichen Verkehr und Gebäude. Und die Preise, die Sie gerade nannten, die beziehen sich auf diesen nationalen Emissionshandel. Und insofern ist es für den größeren Teil der Industrie gar nicht so der ganz relevante Preis, denn es gibt auch Industrie, die in diesem nationalen System mit drin ist, das sind aber im Wesentlichen die kleineren Emittenten, die so klein sind, dass sie unter die Schwelle fallen für den europäischen Emissionshandel. Für die Industrie ist in der Tat deswegen der europäische Emissionshandel der relevante; und da hat sich zuletzt auch einiges getan. Wir hatten eine lange Zeit im letzten Jahrzehnt, wo die Preise überwiegend unterhalb von 10 € lagen, also sehr, sehr niedrig waren, keinen großen Impuls gegeben haben, und das hat sich in den letzten drei Jahren enorm verändert. Da ist dieser Preis angezogen und lag jetzt zuletzt, ich glaube heute, bei 85 €, also ist auf deutlich über 80 € gestiegen. Und das ist schon eine Größenordnung, wo das auch Auswirkungen natürlich hat auf die Kalkulation der Unternehmen. Das lässt sich nicht mehr so wegdrücken wie die Preise, die man in der Vergangenheit gesehen hat. Vielleicht noch wichtiger für die Industrie sind allerdings aktuell wahrscheinlich eher die Gaspreise, die ebenfalls enorm angezogen haben, da ja das Erdgas der dominante Brennstoff in der Industrie ist. Und ebenfalls natürlich auch wichtig – und das hängt auch wieder damit zusammen – sind die Strompreise, die wir auch als Verbraucher natürlich irgendwann sehen werden, die aber noch viel unmittelbarer bei der Industrie durchschlagen und die natürlich auch wieder mit den hohen Gaspreisen zu tun haben; also sowohl der CO₂-Preis als auch der Strompreis. Mittelbar hängt das natürlich auch mit dem Gefüge der Rohstoffpreise zusammen. Das heißt also, dass es sozusagen ein Problem mit vielen Ursachen ist, was aber zusammenhängt. Worauf muss die Industrie sich dann noch einstellen? Also was wir jetzt bei den Gasmärkten sehen und was wir in der Folge auch bei den Strompreisen sehen: Ich habe natürlich auch keine Kristallkugel, aber ich denke schon, dass sich diese Preisniveaus auch wieder beruhigen werden in den nächsten Jahren, auch wenn sie vielleicht nicht auf das, sagen wir mal, Vorkrisenniveau, auf das Niveau vor 2019, zurückgehen werden. Aber was sicherlich klar ist, ist, dass die fossile Energie selbst eher teurer wird, und vor allen Dingen, dass das Verbrennen von fossilen Brennstoffen teurer wird, eben durch den CO₂-Preis. Das ist im nationalen Emissionshandels so angelegt; die Zahlen, die Sie erwähnten. Das ist aber auch im europäischen Emissionshandel so. Wir können vielleicht mal runtergehen von den 80 €, aber es wird sicherlich perspektivisch eher noch zunehmen, weil die Knappheit der verfügbaren Zertifikate einfach auch immer weiter abgesenkt wird. Das bedeutet also: Energie wird teurer und das Verbrennen wird teurer. Und das bedeutet aber auch im Umkehrschluss, dass es sich natürlich umso mehr lohnt, in Maßnahmen zu investieren, die den Energieverbrauch und die Emissionen senken. Und da ist, denke ich, auch sehr viel Bewegung drin, gerade in Industrie auch; da also auch Effizienzpotenziale, wo sie noch nicht ausgereizt sind, weiter auszureizen, aber auch zu investieren in sozusagen die nächste Generation von Produktionsprozessen, die dann mit deutlich geringeren CO₂-Emissionen klarkommen, oder wo es zum Teil dann auch wirklich darum geht, fossile Brennstoffe zu ersetzen durch erneuerbar erzeugte Inputs.
Und das wäre natürlich schön, wenn es tatsächlich so wäre, dass die Industrie dann in neue Innovationen, in die nächsten technischen Anlagen investieren würde. Aber es könnte auch dazu führen, dass man eben den anderen Weg geht und sagt: Dann gehen wir eben lieber in Gebiete, wo es weniger Regulierung gibt und wo die Preise niedriger sind. Also eine Art Industrieflucht; das, was man als ‚Carbon Leakage‘ bezeichnet. Wie sehen Sie dieses Problem ausgeprägt?
Das Thema ‚Carbon Leakage‘ wird in der Tat auch schon seit geraumer Zeit hoch- und runterdiskutiert – sowohl im akademischen als auch im politischen Bereich – und kann in der Praxis verschiedene Formen annehmen. Es geht einerseits darum, dass die Hersteller, die europäischen Hersteller, Marktanteile verlieren (sowohl im Inland als auch im Ausland), weil es Wettbewerber gibt, die anderswo billiger produzieren können; und dann haben wir sozusagen mehr chinesischen Stahl, der nach Europa exportiert wird. Es kann aber auch sein, dass ein deutscher Exporteur einem chinesischen Exporteur unterliegt, wenn’s darum geht, einen indonesischen oder einen südafrikanischen Kunden zu beliefern. Das heißt, alles spielt sich auf den Weltmärkten ab. Das ist die eine Form von ‚Leakage‘. Das andere ist die Frage, ob Investitionsentscheidungen eventuell anders ausfallen; dass also, wenn ArcelorMittal quasi den nächsten Hochofen oder das nächste Stahlwerk plant, dann die Frage ist: Wird das dann vielleicht dann doch eher woanders gebaut und nicht in Europa gebaut, um diesen höheren Kosten zu entgehen?! Die Frage ist, wie erwähnt schon, seit geraumer Zeit diskutiert und wurde auch in der Vergangenheit schon häufiger empirisch untersucht. Und das Interessante ist, dass in den Modellierungen, die sozusagen das vorab versucht haben zu verstehen, häufig das Ergebnis war: Es gibt durchaus ein gewisses Risiko von ‚Carbon Leakage‘. Bei den Ex-post-Untersuchungen, die hinterher versucht haben, das zu erfassen – Was ist denn nun tatsächlich passiert? –, da ließ sich aber kaum jemals ein Leakage-Effekt finden; und zwar sozusagen weder in ökonometrischen Auswertungen noch in … sozusagen: Es gibt auch anekdotische Versuche, herauszufinden, wo gab es denn jetzt tatsächlich mal den rauchenden Colt; also wo ist eine Entscheidung anders getroffen worden wegen des Kohlenstoffpreises. Und dafür, dass es eben diese ‚Leakage‘ bisher, dass sie bisher kaum beobachtet wurde, dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Das eine ist: Die Industrie in Europa hat in der Vergangenheit eine relativ großzügige Ausstattung mit kostenlosen Emissionsberechtigungen erhalten. Das heißt also, sie mussten zwar einen CO₂-Preis quasi zahlen, indem sie Berechtigungen abgeben, aber diese Berechtigungen bekamen sie vorher lange Zeit überwiegend kostenlos zugeteilt und mussten nur einen geringeren Teil zukaufen. Zum anderen, wie bereits erwähnt, war der CO₂-Preis selber eben relativ niedrig und deswegen vergleichsweise gut zu absorbieren. Und der dritte Punkt ist, dass natürlich Klimaauflagen nur einer von sehr, sehr vielen Standortfaktoren sind. Also eine Investitionsentscheidung dreht sich um eine ganze Reihe von Kriterien, da will man nah dran sein an den Märkten, man will einen guten Zugang haben zu Arbeitskräften, Zugang zu Infrastruktur, ein stabiles regulatorisches Umfeld; man möchte sicher sein, dass irgendwie nicht in ein paar Monaten der nächste Putsch ansteht oder was auch immer. Das heißt also, da gibt es sehr, sehr viele Faktoren und Klimaschutz ist tatsächlich nur einer davon. Deswegen, also in der Vergangenheit, Leakage war da empirisch nicht so ein großes Problem, wie es manchmal politisch gehandelt wurde. Das ist aber der Rückwärtsblick. Und die Frage ist: Wird sich das in Zukunft ändern? Da gibt es im Prinzip schon Anlass zur Sorge, insofern als diese kostenlose Zuteilung mit Emissionsberechtigungen auf jeden Fall zurückgehen wird. Schlicht und einfach auch, weil nicht mehr so viele Zertifikate im Umlauf sind. Also das heißt, wenn die Gesamtmenge der Emissionen runtergeht, dann gibt’s auch weniger zu verteilen. Und das heißt also, die Industrie wird da auch, das ist bereits im Gange, aber wird in Zukunft immer stärker eingeschränkt werden. Der zweite Punkt: Der CO₂-Preis, wie erwähnt, hat massiv angezogen und ist jetzt deutlich höher und wird auch nicht wieder auf das alte Niveau zurückfallen. Das heißt also, von dieser Seite her gäbe es schon Anlass, darüber nachzudenken, ob das Leakage-Risiko jetzt vielleicht anders zu bewerten ist. Eine Frage, die man sich allerdings auch stellen kann, ist: Wo will man denn im Jahr 2021 noch in solche alten Technologien investieren? Also: Findet man noch tatsächlich attraktive Standorte, wo man sagt, da bin ich also als Investor auch auf die nächsten 10, 20 Jahre freigestellt von Klimapolitik? Das wird nämlich dann, glaube ich, in der Praxis tatsächlich auch schwieriger, weil auch in vielen anderen Ländern natürlich mehr und mehr Klimapolitik auch gefahren wird und die Länder selber auch Maßnahmen durchaus ergreifen und es auch vielleicht gar nicht mehr so sehr im Interesse von Schwellenländern ist, dass sie jetzt sozusagen selber diese alten Technologien bei sich ins Land holen. Sondern das Interesse – also gerade, wenn man zum Beispiel nach China guckt –, da gibt es auch einen sehr starken Drive; auch China möchte in diese neuen klimaschonenden Technologien reinkommen und gar nicht mehr sozusagen die Resterampe sein, wo alte Technologien dann neu aufgebaut werden. Und nicht zuletzt ist es auch die Frage: Ist das denn im Interesse der Unternehmen? Die Unternehmen, über die wir hier sprechen – zumindest, wenn man jetzt auf die deutschen Unternehmen schaut –, die haben sich alle ganz überwiegend ambitionierte Klimaschutzziele selber gesetzt und wollen eben auch in 10, 20 Jahren klimaneutral sein und da passt es natürlich dann nicht dazu, dass man noch Anlagen mit langer Laufzeit im Ausland mit aufbaut. Insofern muss man das ein bisschen nuancierter betrachten. Ich denke, was sich immer klarer herausstellt bei dieser Diskussion, ist, dass wir im Prinzip sozusagen zwei Wettläufe haben, die parallel stattfinden. Wir haben einerseits noch den alten Wettlauf, wenn man so will. Da geht’s darum, wer kann am günstigsten konventionell herstellen. Und in dieses Thema, da gehört dann auch ‚Carbon Leakage‘ als Problem mit rein. Wir haben aber eben auch parallel dazu den Wettbewerb: Wem gelingt es denn am ehesten, in diese neuen, klimaschonenden Produktionsweisen einzusteigen; und das nicht nur sozusagen als Prototypen, sondern auch im industriellen Maßstab zu betreiben; und das auch stabil zu betreiben und zu kostengünstigen oder zu vertretbaren Kosten dann auch Output zu erzeugen? Das heißt also, da haben wir so eine gewisse Dualität und das bedeutet eben auch für die Politik, dass sie da zweigleisig fahren muss. Das heißt, einerseits geht’s darum, dass man schon die alten Technologien so lange im Markt behält, wie sie noch gebraucht werden. Weil natürlich da auch Wertschöpfungsketten mit dranhängen und so; also das kann man auch nicht einfach so rauskehren und sagen: Weg damit! Aber gleichzeitig darf man darüber nicht den Einstieg in die neuen Technologien verpassen. Also ist es sozusagen schon genau dieser Prozess: aus dem Alten rauskommen, in das Neue reingehen. Das sehen wir an vielen Stellen. Das sehen wir also auch bei der Automobilindustrie, beim Umstieg von Verbrenner auf Elektro. Da sehen wir ganz ähnliche Herausforderungen, wo es eben dann genau darum geht: Wie schnell schafft man das Neue und wie schnell kommt man aus dem Alten raus? Das ist im Übrigen auch eine Herausforderung für die Unternehmen selber, also auch intern kann das durchaus ein Problem sein. Denn je stärker, je attraktiver die etablierten und die „alten“ Technologien sind, die „alten“ Verfahren und Produkte, desto schwerer wird es natürlich auch, intern für den Umstieg zu werben. Das heißt also, die Controller, die dann zu ihren CEOs gehen müssen, sagen müssen, sie schlagen vor, hier zu investieren; da ist es natürlich auch eine relevante Überlegung, wie stark ist denn das alte Geschäftsmodell gefährdet, und das sorgt dafür, dann eben auch zu argumentieren, wie viel Risiken will man eingehen, um in was Neues zu investieren. Genau! Und das führt mich sozusagen zu dem Punkt am Ende, dass dann die politische Aufgabe nicht mehr so darin besteht, die alten Technologien um jeden Preis zu schützen, sondern eher den Weg zu ebnen: Wie kommen wir denn sozusagen in die neue klimafreundliche Wirtschaftsweise und in die neuen klimafreundlichen Technologien? Das ist am Ende des Tages dann auch natürlich Standortpolitik, ne. Also da geht’s dann auch darum, wenn investiert wird in Anlagen zum Wasserstoff, Direktreduktion oder andere Technologien mit deutlich verminderten CO₂-Emissionen, dann sind das Anlagen, die stehen dann erst mal, die werden dann auch einige Jahre laufen und damit ist natürlich auch der Industriestandort Deutschland dann stärker abgesichert. Zu guter Letzt vielleicht noch eine Anmerkung, weil das sozusagen auch das Thema ist, mit dem ich mich beruflich mit am meisten befasse: CO₂-Preis und welche Rolle kann der dazu haben. Der CO₂-Preis ist natürlich schon, wie erwähnt, gibt auch den Anreiz und macht solche Investitionen am Ende des Tages rentabel. Das allein über den CO₂-Preis zu steuern ist aber wahrscheinlich nicht zielführend, nicht erfolgversprechend. Und das Problem ist: Damit solche Investitionen in CO₂-arme Technologien attraktiv und rentabel werden, bräuchte es CO₂-Preise, die so hoch sind, dass die Unternehmen sie auf Dauer schlecht verdauen können. Also wir haben sozusagen so ein Zeit-Konsistenz-Problem an der Stelle: dass die CO₂-Preise hoch sein müssen, damit die Technologien funktionieren, aber, wenn die Preise hochgehen, dann kann es sein, dass die Unternehmen das nicht dauerhaft überleben. Und deswegen ist es eben so wichtig, dass wir da gezielte Instrumente haben zur Innovationsförderung, aber auch zur Investitionsförderung. Das sind solche Sachen wie „Carbon Contracts for Difference“, was sozusagen eine gezielte Subvention ist für Zukunftsinvestitionen. Es geht aber auch um Infrastrukturentscheidungen. Also zum Beispiel: Einige dieser Investitionen setzen voraus, dass wir kostengünstig, verlässlich an Grünen Wasserstoff in ausreichender Menge kommen oder an Wasserstoff insgesamt oder an große Mengen an erneuerbarem Strom. In einigen Fällen kann’s auch um Abscheidung, Speicherung von Kohlenstoff gehen, das sogenannte CCS. Und da braucht es also dann natürlich auch die entsprechenden Infrastrukturen. Das heißt also, dass es darum geht, das Zusammenspiel dieser verschiedenen Themen dann sozusagen zu denken. Das wäre so der grobe Abriss, wie die Industrietransformationen und ‚Carbon Leakage‘ ungefähr zusammenpassen können.
Herzlichen Dank, Herr Görlach, für Ihre Analyse der Klimapolitik. Unternehmen werden wohl nicht darum herumkommen, ihren CO₂-Ausstoß zu minimieren. Wichtig ist aber auch Ihr Appell an die Politik: Hohe Emissionspreise allein sind keine Lösung, auch Innovationsförderung ist unabdingbar. Im zweiten Teil des Podcasts sprechen wir darüber, welche konkreten Maßnahmen die Politik ergreift und welche sie noch ergreifen sollte. Wir hören uns, Ihr Carsten Roemheld.